Der IGH-Richter wird am Dienstag im Libanon erwartet. Seine Ernennung gilt als Niederlage der schiitischen Hisbollah.
Nach zwei Jahren politischer Instabilität hat das Krisenland Libanon einen neuen Regierungschef. Präsident Joseph Aoun ernannte den Richter und Ex-Botschafter Nawaf Salam am Montag nach einer Abstimmung im Parlament zum Ministerpräsidenten. Experten sehen in der Wahl des als pro-westlich geltenden Juristen auch eine Schwächung der einflussreichen pro-iranischen Hisbollah-Miliz.
Aoun habe den derzeit im Ausland befindlichen Salam „einberufen, um ihn mit der Bildung einer neuen Regierung zu betrauen“, teilte Präsidialamtschef Antoine Shukeir am Montag nach dem Abschluss der parlamentarischen Beratungen über die Besetzung des Postens in Beirut mit. Salam werde voraussichtlich am Dienstag zurückkehren.
Das Parlament hatte den 71-jährigen Salam, einen sunnitischen Muslim, dem geschäftsführenden Regierungschef Najib Mikati vorgezogen. Mit großer Mehrheit stimmten 84 von 128 Abgeordneten für Salam als neuen Ministerpräsidenten, Mikati erhielt nur neun Stimmen. 35 Abgeordnete, darunter auch die der Hisbollah, sprachen sich für keinen der beiden Kandidaten aus.
Salams Unterstützer betrachten den derzeitigen Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag und früheren Botschafter bei der UNO als jemanden, der unparteiisch ist und dringend benötigte Reformen im Land vornehmen kann. Dagegen stand Mikati aus ihrer Sicht für das alte und von der Hisbollah-Miliz kontrollierte politische System im Land.
Niederlage für die Hisbollah
Die Hisbollah sei vermutlich darüber „beunruhigt, dass Salam ein Jurist ist, der sich sehr für die Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Institutionen einsetzt“, sagte der Politologe Karim Bitar. Seiner Einschätzung nach wird Salam von der vom Iran finanzierten Miliz als zu pro-westlich wahrgenommen. Dies werde durch die frühere Tätigkeit Salams als libanesischer Botschafter bei den Vereinten Nationen noch verstärkt.
Aus Hisbollah-nahen Kreisen erfuhr die Nachrichtenagentur AFP vor den Parlamentsberatungen, dass die Miliz und die mit ihr verbündete schiitische Amal-Bewegung Mikati unterstützen werde. Nach der vorherigen Favorisierung Aouns als Präsident durch die USA titelte die Hisbollah-nahe Zeitung „Al-Achbar“ am Montag, die Nominierung Salams käme einem „kompletten US-Putsch“ gleich.
Salams Unterstützer hingegen äußerten sich nach der Wahl erleichtert. Salam sei „eine Persönlichkeit, die all jenen Libanesen gleicht, die keine Korruption oder Freunderlwirtschaft mehr sehen wollen“, sagte der Abgeordnete Firas Hamdan. Der christliche Abgeordnete Georges Adwan sagte nach seiner Stimmabgabe für Salam in Richtung Hisbollah: „Die Ära der Waffen ist vorbei.“ Präsident Aoun äußerte am Montagabend vor Journalisten, er hoffe nun auf eine möglichst „reibungslose“ Regierungsbildung „so schnell wie möglich“.
Armeechef Aoun vergangene Woche zum Präsidenten gewählt
Armeechef Aoun war in der vergangenen Woche vom Parlament zum neuen Präsidenten gewählt worden. Zwei Jahre lang hatte das Land wegen Streits zwischen den politischen Lagern keinen Staatschef gehabt. Aoun leitete dann rasch die von der Verfassung vorgeschriebenen Konsultationen zur Ernennung eines neuen Regierungschefs ein.
Im Rahmen des libanesischen Systems der Machtteilung ist der Präsident traditionell ein maronitischer Christ, der Regierungschef ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim.
Der neue Ministerpräsident steht vor großen Herausforderungen: Er muss Reformen durchsetzen, um die internationalen Geldgeber zufriedenzustellen und das Land aus der schwersten finanziellen Krise seiner Geschichte herauszuführen.
Der Libanon befindet sich seit Jahren in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Inmitten der Krise wurde das Land mehr als zwei Jahre lang von einer geschäftsführenden Regierung geführt. Angesichts der derzeitigen Waffenruhe im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah war zuletzt der internationale Druck gestiegen, in dem chronisch instabilen Land einen Staatschef zu bestimmen. (APA/AFP)