In den USA wie auch in einzelnen europäischen Staaten zeichnet sich eine Trendwende bei Themen wie Diversität oder LGBTQ ab. Der designierte Präsident der USA, Donald Trump, kündigte etwa an, “Männer aus dem Frauensport herauszuhalten” und “den Transgender-Irrsinn aus unseren Schulen zu verbannen”. Facebook-Chef Mark Zuckerberg überraschte kürzlich mit der Äußerung, Beschränkungen beim Thema Geschlechtsfragen auf dem sozialen Medium aufzuheben. Künftig sei es erlaubt und falle nicht mehr unter Hassrede-Richtlinien, zu Beschränkungen bei etwa der Polizei oder Lehrer-Jobs nach Geschlecht oder sexueller Orientierung aufzurufen.
In Österreich hat bereits die schwarz-blaue Regierung in Niederösterreich und bald auch die blau-schwarze in der Steiermark ein Genderverbot für bestimmte Schreibweisen, etwa den Gender-Gap oder Gender-Stern, für Behörden beschlossen.
Doch wie steht die EU zu dem Thema Identitätspolitik? „In weiten Teilen Europas gerät die Agenda nicht ins Stocken, sondern nimmt an Fahrt auf“, schreibt die ehemalige österreichische Nationalratsabgeordnete Faika El-Nagashi (Grüne) in einem kürzlich veröffentlichten Essay, dessen Titel gepfeffert ist: „Eine Strategie, um sie alle zu beherrschen: Der Abstieg der EU in den Queer-Aktivismus“.
Im November 2020 stellte die Europäische Union ihre erste sogenannte LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie (2020-2025) vor. In dem 23-seitigen Dokument ist die Rede davon, wie Rechte von LGBTQ-Personen in den EU-Ländern gestärkt und sie vor etwa Hassrede im Internet besser gestützt werden können. Doch so harmlos, wie sich das Papier auf den ersten Blick gibt, ist es laut El-Nagashi nicht.
Tatsächlich ist es so, dass die EU LGBTQ-Initiativen oder Vereine, die sich Identitätspolitik auf die Fahne geschrieben haben, finanziell unterstützt. Dazu gehört beispielsweise die ILGA-Europe, wie die ehemalige Nationalratsabgeordnete schreibt. Diese einflussreiche Organisation kollaboriert mit 700 LGBTQ-Vereinen weltweit, wie auf der Homepage der Aktivisten zu lesen ist. ILGA-Europe sei maßgeblich an der Festlegung des Umfangs und der Prioritäten der EU- Gleichstellungsstrategie beteiligt gewesen und „sorgte dafür, dass ihre Agenda mit den allgemeinen Zielen des radikalen Queer-Aktivismus übereinstimmt“.
„Im Kern umreißt die EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ eine Agenda zur Umgestaltung gesellschaftlicher Normen durch die Verankerung neuer Definitionen und Prioritäten in den rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen der Mitgliedsstaaten“, erklärt El-Nagashi in dem Essay, den sie gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen, Anna Zobnina und Róisín Michaux, verfasste.
Die EU-Strategie habe als Ziel beispielsweise die Einführung der Selbstidentifizierung (self-ID) zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. Das bedeutet, für eine Änderung des Geschlechtseintrags reicht eine mündliche Erklärung am Standesamt. Solch ein Gesetz ist im November 2024 unter dem Namen „Selbstbestimmungsgesetz“ in Deutschland in Kraft getreten. Darüber hinaus strebe das Strategiepapier ein Verbot von Konversionstherapien oder die Beseitigung von Hassreden an, ohne zu definieren, was „Hass“ eigentlich bedeute.
Der Ausdruck „sexuelle Orientierung“ habe in den letzten Jahren eine Neudefinition hin zu Geschlechtsidentität erfahren – und beinhalte nun sogenannte „nicht-binären“ und „queere“ Konzepte von Identität. Das EU-Strategiepapier bewege sich weg vom biologischen Geschlecht. „Eine Welt, in der Worte alles und nichts bedeuten, ist offenbar eine Welt des Fortschritts“, kritisieren die Autorinnen des Essays.
Faika El-Nagashi fürchtet angesichts dieser ideologischen Ausrichtung eine Aushöhlung der Frauenrechte, für die sich die Grünen-Politikerin seit vielen Jahren einsetzt. Diese Art der Politik mache „Frauenquoten und andere gezielte Maßnahmen zur Frauenförderung obsolet“. Jeder könne sich als Frau bezeichnen, unabhängig des tatsächlichen biologischen Geschlechts.
Diskussionen über Identitätspolitik, beispielsweise die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, auf Frauen, Lesben und Schwule, könnten unter den juristisch sehr schwammigen Begriff der „Hassrede“ fallen. „Solche Gesetze bedrohen nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern verwandeln auch uralte philosophische Debatten über die Wahrheit in juristische Minenfelder“, meinen die drei Frauen.
Obwohl die EU-Strategie keine Rechtskraft habe, sei ihr Einfluss unbestreitbar. „Organisationen der Zivilgesellschaft und Aktivisten vor Ort benutzen alles, was den Stempel der EU trägt, wie ein stumpfes Instrument und betrachten es als unwiderlegbaren Beweis für einen fortschrittlichen Konsens. Diese Strategie wird dann in den nationalen Debatten wiederverwendet und umfunktioniert, was ihre Wirkung weit über ihren offiziellen Auftrag hinaus verstärkt“, schreiben die Kritikerinnen. Zum Schluss geben sie eine Warnung ab:
Die EU bräuchte eine Nachjustierung ihrer Sozialpolitik. Ansonsten laufe sie Gefahr, „genau das zu werden, wogegen sie sich zu wehren vorgibt: eine Kraft, die abweichende Meinungen an den Rand drängt und Unterschiede im Namen der Konformität verwischt“.