Kamala Harris hatte Hollywood klar auf ihrer Seite. Verloren hat sie die Präsidentschaftswahl trotzdem. Hat sich die Popkultur überschätzt?
Wären Taylor Swift und Travis Kelce eine Erfindung der Demokratischen Partei (wie Trumps Unterstützer es gemutmaßt haben), sie hätte ihr trotzdem nichts genutzt. Donald Trump hat die Wahl trotz ihrer Unterstützung der Gegenseite gewonnen, und das sogar deutlich. Swift hatte sich im September für Kamala Harris ausgesprochen. Politologen hielten sie zuvor schon für sehr wirkungsmächtig, und mit einem Footballstar an ihrer Seite umso mehr.
Den Einfluss des Superstars hat man obviously überschätzt. Zwar hat sie Menschen zum Wählen gebracht – 400.000 soll sie mittels Instagram-Post auf die Registrierungsseite geschickt haben – die konkrete Empfehlung dürfte aber wenig gebracht haben. Im Gegenteil: Sie hat Harris vielleicht sogar Stimmen gekostet. Nur acht Prozent gaben kurz nach Swifts Erklärung bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov an, nun „etwas“ oder „viel“ wahrscheinlicher für Harris zu stimmen. Zwanzig Prozent hingegen wollten deshalb weniger wahrscheinlich Harris wählen.
Ist Kamala Harris „brat“?
Nun spaltet Swift seit jeher die Gemüter. Aber auch Charli XCX hat Harris nicht zum Sieg verholfen: Der Popstar erklärte die Präsidentschaftskandidatin zur „brat“, also zu einer „Göre“, was aus dem Munde einer Supergöre nur als Kompliment gemeint sein konnte. „Kamala IS brat“, schrieb sie im Juli auf X, eine Anspielung auf ihr eigenes gleichnamiges Album, das den ganzen Sommer über (und bis in den Herbst hinein) die popkulturelle Landschaft in ein sattes Giftgrün tauchte. Harris hatte also nicht nur eine, sondern sogar zwei Popikonen der Stunde im Rennen um die Präsidentschaft auf ihrer Seite. Und noch mehr: Billie Eilish und Bruder Finneas, Oprah Winfrey, Bad Bunny, Ariana Grande, George Clooney, Usher, Bruce Springsteen, Arnold Schwarzenegger, Eminem, Pink, Lizzo und Beyoncé – allesamt haben sie für Harris geworben, oder vor Trump gewarnt.
Das Duell um die Prominenz konnte Harris klar für sich entscheiden, doch sollen sich durch eine Präsidentin ja auch die normal sterblichen Bürgerinnen und Bürger gut vertreten fühlen. Eine Überpräsenz an Hollywoodstars nährt dieses Gefühl offenbar nicht. Oder woran mag es sonst liegen, dass trotz der mit Wirbel gerührten Werbetrommel für die potenzielle erste US-Präsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten die satte Mehrheit auf Donald Trump setzt?
Kommentatoren in US-Medien mutmaßen es so: Viele von Harris’ prominenten Zugpferden erreichten eine ohnehin demokratische Wählerschaft – die queere, schwarze und (links-)liberale Blase. Swift sei da womöglich einer Ausnahme, wurde ihr doch immer nachgesagt, die beiden Lager zu vereinen. US-Journalist Seth Abramovitch betonte aber gegenüber dem „Guardian“, Swift würde zwei wichtige demografische Gruppen nicht erreichen, die Trump dieses Mal zum Sieg verholfen haben: Latinos und schwarze Männer. Umgekehrt dürfte Trump sehr wohl Swifties für sich gewonnen haben: Nach einer Marktanalyse von Morning Consult aus dem Jahr 2023 zählt mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung zu ihren Fans.
Generell würde der Einfluss von Promis eher überschätzt, meint Nadja, eine 29-jährige US-Bürgerin: „Ich persönlich gebe nichts auf die Wahlempfehlungen von Promis. Ich denke, die meisten Menschen haben bereits ihre eigene Meinung, Botschaften von Promis können diese dann höchstens untermauern. Mich beeinflussen Stars eher im Bereich Make-up, weniger in der Politik.“ Sie lacht. Ihre Wahlentscheidungen, sagt sie, resultieren eher von Gesprächen mit Freunden und der Familie.
Überengagiertes Hollywood
Schon 2010 hat eine Studie gezeigt, dass junge Wählerinnen und Wähler sich nichts aus Empfehlungen aus Hollywood machen. Eher mag man Promi und Kandidat dadurch weniger. Und wenn es doch etwas bringt, dann eher dem Promi. Mag sein, dass man der Hollywoodgarde mangelnde Expertise unterstellt. Über angeblich überengagierte Stars hat sich der britische Comedian Ricky Gervais im Juni mittels Kurzvideo lustig gemacht, und mit ihm gleich das halbe Netz: „Als Prominenter weiß ich alles über Dinge wie Wissenschaft und Politik, also vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, wen Sie wählen sollten.“
Oder aber es rührt von ungleichen Bedürfnissen her. So lassen es Stimmen im Netz vermuten. Swift und Beyoncé kümmert die Inflation wohl kaum, und die gestiegenen Preise war eines der wichtigsten Wahlmotive. Trump werde es besser machen, sind viele überzeugt.
Ein bisschen konnten die Republikaner den Gegenwind aus Hollywood sogar für sich nutzen. Die „Elite“ hat man unter ihnen ja längst zum Feindbild stilisiert: „Die da oben“ wüssten nicht, was gut fürs Volk ist. Trump am Drive-In-Schalter bei McDonald’s war die diametral entgegengesetzte PR-Strategie. Vielleicht hätte Kamala Harris dem Querulanten und erfolgreichen Podcaster Joe Rogan die Einladung zu ihm nach Texas nicht ausschlagen sollen: Trumps Besuch dort verzeichnete alleine auf YouTube knapp 47 Millionen Aufrufe. Vielleicht aber ist Donald Trump auch schon für sich Promi genug – und damit sein eigener wichtigster Supporter.
>> Zur Studie aud 2010, North Carolina State University
>> Zum Bericht vom „Guardian“
>> Zum Bericht vom „Hollywood Reporter“