Die „Tagesschau“ streicht „meine Damen und Herren“ aus ihrer Begrüßung. Das ist gut so, denn längst gibt es bessere, genderneutrale Alternativen.
Vor mehr als einer Woche hat die wichtigste Nachrichtensendung im deutschsprachigen Raum ihre Begrüßung verändert, und lang ist es überhaupt niemandem aufgefallen. Die Redaktion der „Tagesschau“ begründet ihre Entscheidung, nach dem „Guten Abend“ nicht mehr „meine Damen und Herren“ zu sagen, mit den Wünschen der Zuseher. Die fordern laut einer Umfrage nämlich eine „authentische und zugängliche Ansprache“. Das leuchtet ein. Wer sich heute darüber aufregt, der muss wirklich bei der „Bild“ arbeiten oder mindestens einmal aus dem Springer-Hochhaus geworfen worden und auf dem Kopf gelandet sein. Ganz ehrlich: Wer heute abgesehen von Kellnern im Kaffeehaus Leute als „meine Damen und Herren“ bezeichnet, klingt im besten Szenario noch kauzig.
Vor allem für Frauen ging Bedeutungswandel in der Bezeichnung ihres Geschlechts sprachgeschichtlich leider oft schlecht aus: Im Mittelhochdeutschen war der Begriff „frouwe“ anfangs nur für weibliche Adelige reserviert. Der neutrale Begriff für nicht adelige Frauen lautete „wîp“ (Weib). Als sich „Frau“ auch zum Terminus für die von nebenan durchsetzte und „Weib“ als abschätzig galt, importierte man für den Adel das Wort „Dame“ aus dem Französischen. Und heute? Da geht „meine Damen und Herren“ zumindest vor einem rüstigen und zugleich todesfürchtigen mittelalten Publikum locker schon als altersdiskriminierende Mikroaggression durch. Mit der überholten Binarität der Geschlechter brauchen wir erst gar nicht anzufangen.
»Wir wünschen den willenlosen Werkzeugen vor den Fernsehgeräten noch eine angenehme Woche. «
Die Zuseher der „Tagesschau“ wurden nachweislich bereits 1960 nur mit einem schlichten „Guten Abend“ gegrüßt. Tatsächlich gibt es manches Best-Practice-Beispiel aus der Vergangenheit für geschlechtsneutrale Anreden: „Ich heiße nicht nur Heinz Erhardt, sondern Sie auch herzlich willkommen“, adressierte der deutsche Komiker sein Publikum – ein „Zeugma“ nennen Streber diese rhetorische Figur. Brauchbare genderneutrale Anreden finden selbige übrigens auch in Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“. „Guten Abend, liebe Ohrfeigengesichter!“, böte sich da etwa an. „Wir wünschen den willenlosen Werkzeugen vor den Fernsehgeräten noch eine angenehme Woche.“ Oder: „An dieser Stelle möchten wir uns von allen Bestien in Menschengestalt auf 3sat verabschieden.“
Fest steht: Gegen einen guten Abend oder Morgen gibt es nichts einzuwenden. Man kann nur hoffen, dass diese semantisch nicht zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Speziell im Englischen kann das freundliche Grüßen schnell für Verwirrung sorgen. In Tolkiens „Hobbit“ kennt sich der Zauberer Gandalf nach einem solchen Wunsch nämlich gar nicht mehr aus. „Wünschen Sie mir einen guten Morgen, oder meinen Sie, dass es ein schöner Morgen ist, egal, was wir wünschen?”