Die Stimmung ist ausdrücklich gut. Daran lässt Stefan Naas, Fraktionsvorsitzender der FDP im hessischen Landtag, an diesem Abend keinen Zweifel. Er steht bei der Weihnachtsfeier der Landes-FDP im Hinterzimmer eines italienischen Restaurants in Wiesbaden, vor ihm ein paar Journalisten und Abgeordnete mit Prosecco-Gläsern in den Händen. Naas’ Rückblick auf das Jahr in der hessischen Opposition fällt positiv aus. Den Gesprächsstoff, bemerkt er, liefere gleichwohl die Bundespartei.
Die Liberalen stehen in der Kritik, seit ein internes Papier über die Planung des Ausstiegs aus der Ampelkoalition („D-Day“) öffentlich wurde. In den vergangenen Wochen wurde gemutmaßt, wer wann von welchen Formulierungen gewusst haben dürfte; Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann traten zurück. Eine Partei in Aufruhr – oder etwa nicht? Bislang war die Kritik an FDP-Chef Christian Lindner aus den eigenen Reihen eher verhalten.
Auf die Debatte um den Ampelausstieg geht Naas nicht ein, kündigt aber an, in den gut 80 Tagen bis zur Bundestagswahl durchackern zu wollen, keine Pause. Kein Zweifel an der Kampfbereitschaft einer Partei, die sich mit Kriegsmetaphern auskennt. Die Ko-Vorsitzende der Fraktion, Wiebke Knell, relativiert, dass sie sich zumindest eine Woche Urlaub gönnen wolle über die Feiertage.
Die hessischen Landtagsabgeordneten, die nun in ihren Kreisverbänden den Wahlkampf organisieren, klingen betont zuversichtlich. Leise Kritik, die man manchmal hörte, ist weg – es ist, als habe die Causa die Partei zusammengeschweißt. Einer äußert die Hoffnung, dass die „etwas überdrehte Debatte“ bis zur heißen Wahlkampfphase im neuen Jahr abebbt, dass es für die FDP einen Neustart gibt. Weihnachten und Silvester könnten die gleiche Wirkung haben wie das „Blitzdings“ im Actionfilm „Men in Black“, hofft ein anderer. Dort können Geheimagenten mit einem hellen Licht die Kurzzeiterinnerungen ihres Gegenübers löschen. Ob die Öffentlichkeit der FDP diesen Gefallen tut?
Ortsverband stellt sich gegen Lindner
Dennoch: An der Basis gibt es ein leises Grummeln. Anfang der Woche gab der FDP-Ortsverein in Kronberg im Hochtaunus eine Erklärung ab, in dem er sich gegen den Automatismus wandte, dass Lindner Spitzenkandidat wird. Man wolle niemanden unterstützen, „der schon ramponiert in den Wahlkampf geht“. Über die Motive will der Vorsitzende auf Anfrage nicht sprechen. In Kronberg wünschen sich die Liberalen die Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin.
Die, die reden wollen, sagen, Christian Lindner sei „absolut unumstritten“. Dass er die Partei wieder in den Bundestag geführt habe, würde ihm einen Kredit einbringen, sagt ein Kreisvorsitzender. Manche stört jedoch das Theater, das in Berlin aufgeführt wurde – erst dementieren, dass es ein Papier gegeben habe, dann doch eingestehen. Trotzdem sagt ein anderer Funktionär: „Lindner jetzt abzusägen wäre politischer Selbstmord.“
Auch die Fraktionsvorsitzende Wiebke Knell, die Mitglied des Bundesvorstands ist, sagt: „Christian Lindner ist mit seiner Erfahrung genau der Richtige, um die Freien Demokraten in die Wahl zu führen, und die Partei steht hinter ihm.“ Forderungen nach seinem Rücktritt seien die Ausnahme. „Christian Lindner genießt breiten Rückhalt.“ Knell sagt, sie sei zwar von der Wortwahl des Strategiepapiers überrascht gewesen, doch mit den Rücktritten Djir-Sarais und Reymanns habe man die richtigen Konsequenzen gezogen. Dadurch und durch das Ende der Ampel sieht sie die Glaubwürdigkeit der FDP gestärkt.
Auch der größte Landesverband übt kaum Kritik
Auch aus dem größten FDP-Landesverband, dem in Nordrhein-Westfalen, ist keine scharfe Kritik an der Führung der Bundespartei zu vernehmen. Henning Höne, FDP-Landesparteichef und Fraktionsvorsitzender im Landtag, beschränkte sich nach dem Debakel um das D-Day-Papier auf einige knappe Sätze. „In den letzten Tagen haben wir Fehler gemacht, haben viele Menschen enttäuscht. Wir sind unserem Anspruch an uns selbst nicht gerecht geworden“, schrieb Höne auf der Plattform X und fügte an: „Das werden wir aufarbeiten. Die FDP war immer dann erfolgreich, wenn sie sich auch im Stil positiv von anderen Parteien unterschieden hat.“
Darüber hinaus habe er intern kommuniziert und dabei auch offene Worte benutzt, sagt Höne gegenüber der F.A.Z. Das sei weit wirksamer als Ratschläge von der Seitenlinie. Die Rücktritte Djir-Sarais und Reymanns seien folgerichtig gewesen – damit sei die Sache nun aber erledigt. Höne meint, Fehler der FDP würden von Medien und politischen Gegnern genutzt, um von politischen Inhalten abzulenken und seiner Partei die Schuld für das Ampel-Aus zuzuschieben. „Deutschland braucht mutige Strukturreformen, Deutschland braucht eine starke FDP, und dafür werden 17.500 Freie Demokraten in NRW engagiert streiten.“
Viel FDP-Prominenz kommt aus NRW
Für die Partei wird es darauf ankommen, wie erfolgreich dieses Engagement ist. Sollte die FDP am 23. Februar in NRW unter die Fünfprozentmarke rutschen, hätte sie kaum eine Chance, im nächsten Bundestag vertreten zu sein. „Wir sind die Lokomotive“, sagt Höne deshalb auch – und verweist darauf, dass viele FDP-Prominente aus NRW kommen: Marco Buschmann, bis vor Kurzem Bundesjustizminister und nun Generalsekretär der Bundes-FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und natürlich Christian Lindner.
Dieser ist der richtige Vorsitzende und der richtige Spitzenkandidat, davon ist Höne überzeugt. „Er hat die volle Unterstützung des größten Landesverbands und auch von mir persönlich.“ Dass es so viel Loyalität in der nordrhein-westfälischen FDP mit dem Bundesvorsitzenden gibt, hat auch damit zu tun, dass viele Parteimitglieder das Jahr 2012 in bester Erinnerung haben. Als die Landes-FDP damals bei zwei bis drei Prozent herumdümpelte, übernahm Lindner die Spitzenkandidatur für die Neuwahl des Landtags – bei der die Partei dann 8,6 Prozent erreichte. Und nach dem Debakel bei der Bundestagswahl 2013 – erstmals seit Gründung der Bundesrepublik verfehlte die FDP den Einzug ins Parlament – baute Lindner seine Partei von NRW aus wieder auf.
Wie werden die Liberalen im FDP-Stammland abschneiden?
Ob der FDP auch bei der kommenden Bundestagswahl der Wiedereinzug gelingt, hängt neben NRW vor allem von Baden-Württemberg ab, gewissermaßen das Stammland der Partei. Hier muss sie etwa sieben Prozent holen, damit der Gesamtpartei der Wiedereinzug in den Bundestag gelingen kann, haben die Liberalen ausgerechnet.
Der starke Mann des Landesverbandes ist der seit 2009 amtierende Fraktionsvorsitzende und FDP-Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl, Hans-Ulrich Rülke; er wird im Januar zusätzlich den Landesvorsitz übernehmen. Rülke führt die FDP mit einem robusten Kurs einerseits gegen die Grünen, andererseits gegen die AfD. Für die Landtagswahl Anfang 2026 strebt er eine schwarz-gelbe Regierung an, er selbst will dann Minister und stellvertretender Ministerpräsident werden.
Schon im September hatte Rülke sich für den Ausstieg aus der Ampelregierung ausgesprochen – und das mit der Migrationspolitik der Ampel begründet: „In der Tat war für mich spätestens im September klar, dass Zurückweisungen von illegal Einreisenden an den deutschen Grenzen zwingend geboten sind, um ein weiteres Erstarken der AfD zu vermeiden. Dem haben sich vor allem die Grünen erkennbar widersetzt. Insofern wäre ich nicht unglücklich gewesen, wenn die FDP die Ampel bereits im September beendet hätte. Dann hätte man sich auch das Hickhack um ein im Oktober erstelltes Papier erspart“, sagt Rülke der F.A.Z.
Mit seiner Aufforderung, die Koalition zu verlassen, konnte er sich im September im erweiterten Landesvorstand nicht durchsetzen, einige hielten Zurückweisungen an den Grenzen für nicht vereinbar mit liberalen Grundwerten und pochten auf das Grundrecht auf Asyl.
Rülke will viele Ampelentscheidungen rückabwickeln
Rülke hält es für glaubhaft, wenn Christian Lindner jetzt behaupte, dass er dieses Papier weder „gekannt“ noch „zur Kenntnis genommen“ habe. Rülke ist zuversichtlich, dass seine Partei den Wiedereinzug in den Bundestag schafft. „Die meisten Menschen in diesem Land haben eher Sorge um ihren Wohlstand und ihren Arbeitsplatz als darum, was in internen Papieren von Parteien steht.“
Die Bundestagswahl will er mit klaren programmatischen Ansagen gewinnen: Die FDP stehe etwa für die Verteidigung der Schuldenbremse und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Rülke spricht sich dafür aus, das Heizungsgesetz, das Lieferkettengesetz, den Green-Deal und das Verbrennerverbot rückabzuwickeln und Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Außengrenzen rechtlich zu ermöglichen.
So einhellig, wie Rülke es darstellt, ist die Stimmung in seinem Landesverband aber nicht. Viele halten heute nur deshalb zu Lindner, weil sie davon ausgehen, dass sich in der kurzen Zeit bis zur Wahl kein Besserer finden lässt. Und im Oktober, knapp einen Monat vor dem Ampelbruch, votierten acht von neun FDP-Bezirksvorsitzenden in einer Umfrage für einen Verbleib in der Regierung.
Einer, der die FDP-Führung heftig kritisiert, ist Georg Gallus. Anfang Dezember kandidierte der Göppinger Kommunalpolitiker erfolglos gegen die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Judith Skudelny. Der 67 Jahre alte Landwirt stammt aus einer urliberalen württembergischen Familie, sein Vater war unter den Kanzlern Schmidt und Kohl Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium. Gallus sagt: „Die Bundestagswahl ist gelaufen, vielleicht ist es nötig, dass wir rausfliegen, damit die echten Liberalen übrig bleiben.“ Bei ihm würden sich jetzt treue FDP-Wähler melden und sagen: „Besser nicht wählen als FDP wählen.“ Er werde Lindner einen Brief schreiben, der müsse für das Desaster die Verantwortung übernehmen.
„Meine politische Heimat und der deutsche Humanismus, den ich immer vertreten habe, wird von denen da oben kaputtgemacht“, sagte Gallus. Die FDP sei eine Partei der „Pfründenverteiler“ geworden, bei den ersten zehn Plätzen der Bundestagsliste habe es nur eine Gegenkandidatur gegeben. Gallus sagt, seine Partei habe beim Koalitionsbruch „dilettantisch“ agiert.
Was sich einige Bundestagsabgeordnete leisteten, sei nicht „Volksvertretung, sondern Volksverachtung“. Die Beteuerungen der FDP-Führung, von den D-Day-Plänen nichts gewusst zu haben, hält Gallus für wenig glaubwürdig: Ein Mitglied der Bundestagsfraktion habe ihn schon im Oktober angerufen und gesagt: „Pass auf, im November passiert was.“