Verurteilter Straftäter
Noch viel wesentlicher vor seinem Amtsantritt wird die Verkündung des Urteils im Schweigegeldprozess gegen Trump sein: Am 10. Jänner, zehn Tage vor der Machtübergabe, um 9.30 Uhr Ortszeit muss Trump zur Urteilsverkündung in New York erscheinen – persönlich oder virtuell. Zwar hat Richter Juan Merchan andeuten lassen, dass es weder eine Haft- noch eine Geldstrafe geben, sondern bei der bereits im Mai verkündeten Verurteilung bleiben würde, eine sogenannte “unconditional discharge” also. Dies sei “die praktikabelste Option”, so Merchan. Dennoch würde die historische Verurteilung eines US-Präsidenten bestehen bleiben: Trump würde am 20. Jänner als verurteilter Straftäter ins Weiße Haus einziehen.
Das Heimatschutzministerium hat der einer Formalität gleichkommenden Zertifizierung des Trump-Sieges zum ersten Mal das Prädikat eines “National Special Security Events” verliehen. Damit gelten rund um das Parlamentsviertel Sicherheitsbestimmungen wie beim “Super Bowl”, dem diesmal am 9. Februar in New Orleans stattfindenden Endspiel um die Football-Meisterschaft. Angesichts des jüngsten Attentats mit 14 Toten durch einen mutmaßlich radikal-islamistischen Attentäter, der mit einem Auto in eine Menschenmenge gerast war, haben die Sicherheitsorgane in DC ihr Konzept auf den Prüfstand gestellt.
Vorgesehen sind umfangreichste Straßensperren und Metall-Sicherheitszäune sowie steinerne Poller rund um das Parlamentsgebäude. Neben bewaffneten Hundertschaften der lokalen Polizei, des FBI, des Secret Service und des Heimatschutzes, die teilweise auf “stand by” geschaltet werden, kommen Drohnen zum Einsatz, die das weiträumige Areal 24/7 überwachen.
Dunkle Erinnerungen
Dem 119. Kongress, der erst am Freitag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkam, soll definitiv erspart bleiben, was den 118. bis in die Grundfesten erschütterte: Weil er seine Niederlage von 2020 gegen Joe Biden nicht akzeptieren wollte, die Legende eines gegen ihn gerichteten Wahlbetrugs strickte und Zigtausende Anhänger mit einer Rede aufstachelte, kam das Ritual der Zertifizierung des Wahlsieges des Demokraten vor vier Jahren brutal unter die Räder.
Vor der gemeinsamen Sitzung von Senat und Abgeordnetenhaus am 6. Jänner 2021, wo die Stimmen des “electoral college” abschließend ausgezählt werden sollten, stürmten Hunderte gewalttätige Trump-Anhänger das Kapitol. Sie verprügelten mit Fahnenstangen, Baseballschlägern und Elektroschockern Polizisten, warfen Scheiben ein, verwüsteten Abgeordneten-Büros und fahndeten mit Tötungsabsichten nach dem damaligen Vize-Präsidenten Mike Pence, der sich geweigert hatte, für Trump seinen Amtseid zu brechen.
Die staatsstreichähnlichen Szenen forderten mehrere Todesopfer. Dutzende Abgeordnete fürchteten um ihr Leben. Trump sah dem Treiben im Weißen Haus stundenlang am Fernseher zu und ließ sich erst auf massives Drängen engster Berater darauf ein, den von ihm aufgestachelten Mob in einer kurzen Rede zum Rückzug zu drängen.
Trump will Randalierer begnadigen
Bis heute sind über 1000 Randalierer gerichtlich abgeurteilt und zu teils jahrelangen Haftstrafen verurteilt worden, darunter Vertreter rechtsextremistischer Milizen wie den “Proud Boys” und den “Oath Keepers”. Trump hält sie fast ausnahmslos für “Geiseln” des Staates. Er will den 6. Jänner 2021 als “Tag der Liebe” in Erinnerung behalten und hat angekündigt, an seinem ersten Arbeitstag seiner zweiten Präsidentschaft von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen.
Diesmal wird es aus dem Trump-Lager kein Störfeuer geben. Die Demokratin Kamala Harris, die als noch amtierende Vize-Präsidentin der Stimmen-Beglaubigung heute vorsitzen wird, hatte ihre Wahlniederlage zügig eingestanden, der scheidende Präsident Joe Biden einen geordneten Übergang gewährleistet.
Kleine Opposition
Anders als 2021, als Trumps haltloser Betrugsvorwurf verfing, glauben heute laut Umfragen sechs von zehn Republikanern, dass es bei Trumps Wahl im vergangenen November mit rechten Dingen zuging.
Nur eine kleine, oppositionelle Bewegung, die sich “14th Now!” nennt, tickt anders. Die Aktivisten, die sich auf den 14. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung berufen, demonstrieren seit Samstag im Umfeld des Kapitols gegen Donald Trump und fordern den Kongress auf, dem Republikaner die Beglaubigung des Wahlsieges zu versagen und Kamala Harris zur Präsidentin zu machen. Sie verweisen darauf, dass die Verfassung sagt, dass es Personen, die “sich an einem Aufstand oder einer Rebellion beteiligt haben”, verboten ist, ein politisches Amt zu bekleiden. Sie machen Trump für die schwarzen Stunden am Kapitol vor vier Jahren verantwortlich, als die US-Demokratie beinahe unter die Räder geriet.
Die Initiatoren lassen sich nicht davon beeindrucken, dass der Oberste Gerichtshof vor einem Jahr zugunsten von Trump entschieden hatte, dass er mit seinen diversen Einflussversuchen am 6. Jänner 2021 nicht gegen die Verfassung verstoßen habe. “Sag Nein zu einem disqualifizierten, verurteilten Aufständischen”, heißt es auf Plakaten der Demonstranten, die bisher zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen.