Karl Nehammer ist eigentlich ein Glückskind. Der nun zurückgetretene Kanzler war ein Nobody, als er ab 2017 auf der Erfolgswelle unter Sebastian Kurz Stufe für Stufe die politische Leiter emporstieg: vom Nationalratsabgeordneten zum Generalsekretär, weiter zum Innenminister bis hinauf zum Bundeskanzler. Für Nehammer war alles angerichtet. Knapp drei Jahre später steht er vor einem riesigen Scherbenhaufen. Nicht nur er, sondern mit ihm (und wegen ihm) auch die gesamte ÖVP.
Die Volkspartei hat unter Nehammer die politische Breite unter der Kanzlerschaft von Kurz verloren und wurde eingeengt in eine Gruppe aus loyalen ÖAAB-Leuten mit stark niederösterreichischem Einfluss. Dazu kam der politische Ruck in die Mitte mit klarer Distanzierung zur FPÖ. Das hinterließ enttäuschte bürgerliche Wähler, die in Scharen zu den Freiheitlichen überliefen.
In den Ländern ist wieder jener Zustand ausgebrochen, den wir aus Zeiten vor Kurz kennen: Jeder macht, was er will, fordert, was er will, und bekommt, was er will. Gleichzeitig ging eine Landtagswahl nach der anderen verloren. Die Erfolge unter Kurz blieben aus – schwarze Landeshauptleute in Salzburg, Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg und zuletzt in der Steiermark bekamen die schlechte Performance der Bundes-ÖVP unter Nehammer voll zu spüren. Der letzte Höhepunkt: In Graz regiert nun sogar ein blauer Landeshauptmann. Das erste Bundesland ist sozusagen bereits „gefallen“, und die Prognosen für die nächsten Wahlen sehen nicht viel besser aus – die schwarze Dominanz erodiert weiter.
Abseits des Parteiniedergangs, der bei der EU-Wahl und letztlich bei der Nationalratswahl im September mit einem zweistelligen Minus seinen Höhepunkt fand, brillierte Nehammer auch nicht als Bundeskanzler mit Führungsqualitäten. Zu viele Zugeständnisse an den grünen Juniorpartner haben das schwarze Profil immer mehr zerbröselt. Nehammer ließ sich von den Grünen praktisch vorführen – aber dies aus gutem Grund: Mit allen Mitteln sollte das Kanzleramt für ihn erhalten bleiben. Dafür nahm er auch ein riesiges Budgetloch in Kauf – eine Suppe, die wir alle nun über Jahre auslöffeln müssen.
Aus dieser Zwickmühle kam Nehammer letztlich bis zum Schluss nicht heraus. Denn auch die gescheiterten Ampel-Verhandlungen zeigen, dass diese Gespräche nur einer Sache dienten: dem unbedingten Erhalt des Kanzleramtes.
Karl Nehammer hat viel verloren. Aber auch die ÖVP hat mit Nehammer viel verloren. Die ÖVP muss nach sieben Jahren das Kanzleramt wieder abgeben und wurde zum potenziellen Juniorpartner dezimiert. Eine Rolle, die der ÖVP leidvoll bekannt ist. Zurück bleibt eine Partei, die am Boden liegt und gegen die Bedeutungslosigkeit kämpft. Nicht selten hört man in den letzten Tagen von vielen ÖVP-Funktionären im Bund und in den Ländern sowie auch in den mächtigen Teilorganisationen der ÖVP, dass unter Nehammer schwere strategische Fehler gemacht wurden. Funktionäre ringen nun um Orientierung und sehnen sich nach einem starken Neustart. Ob das gelingt, werden wir in den kommenden Monaten sehen.