Mit der Debatte über die Energiewende in Deutschland ist es wie mit der erneuerbaren Energie selbst: Sie unterliegt krassen Schwankungen. Eben noch, zu Beginn des Winters, warnten Politik und Experten vor einem Mangel an grünem Strom in Deutschland, weil es an Sonnenschein und Wind fehlte – Stichwort „Dunkelflaute“. Nun befürchten sie plötzlich zu viel.
Konkret: Weil die Zahl der Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) auf Wohnhäusern im vergangenen Jahr so stark gestiegen ist, könnte schon im Frühsommer 2025 zu Spitzenzeiten so viel Solarenergie produziert werden, dass die deutschen Stromnetze davon überlastet werden. Horrorszenarien werden für Ostern und Pfingsten an die Wand gemalt.
„Brownout“ statt Blackout
Schlimmstenfalls, so warnt die Energiewirtschaft eindringlich, könnten sich Netzbetreiber dazu gezwungen sehen, einzelne Netze vorübergehend abzuschalten, also einen sogenannten „Brownout“ herbeizuführen – um einen unkontrollierten Blackout zu abzuwenden. Energiewende paradox: ein Kollaps durch zu viel erneuerbaren Strom. Das wäre nicht nur für Unternehmen und Haushalte fatal. Es könnte den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft insgesamt torpedieren und der AfD mit ihrer Fundamentalkritik noch mehr Auftrieb geben.
SPD und Grüne wollen das alles unbedingt verhindern und nun mit einem Gesetz gegensteuern, das auf den allerletzten Metern vor der Wahl noch verabschiedet werden soll.
Das Ziel: Neue PV-Anlagen von Privatleuten sollen ab einer bestimmten Größe notfalls aus der Ferne abgeregelt werden können. Wenn Sonne und Wind so viel Strom liefern, dass das die Kapazitäten zu überschreiten droht, sollen die Anlagen daran gehindert werden, den Solarstrom in die öffentlichen Netze einzuspeisen. Das würde den Betreibern natürlich Einbußen bringen.
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Der Entwurf, der an diesem Mittwoch im Energieausschuss des Bundestages beraten wird, sieht vor, dass neu gebaute Anlagen ab einer Leistung von 7 Kilowatt künftig regulierbar sein sollen. Anlagen, die sich nicht fernsteuern lassen, sollen nur noch maximal 60 Prozent des produzierten Stroms in die öffentlichen Netze einspeisen dürfen.
„Die Zahl kleinerer PV-Anlagen ist im vergangenen Jahr extrem schnell gewachsen“, sagt die energiepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ingrid Nestle, im Gespräch mit unserer Redaktion. Noch vor einem Jahr habe es noch keine so deutlichen Warnungen von den Netzbetreibern gegeben, was die mögliche Überforderung der Netze durch Öko-Strom betreffe. „Deshalb gilt es, auf Anlagen zu setzen, die steuerbar sind. Gerade weil der Bereich privater PV-Anlagen zu so einem wichtigen Faktor für das gesamte System geworden ist, ist das nur logisch.“
Die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle
Foto: dpa/Christoph Soeder
Aus Nestles Sicht ist die Sache dringend: Je nach Witterung könnten schon bald Probleme auftreten, wenn man nicht rechtzeitig handele. „Am Pfingstmontag Anfang Juni liefert die Sonne schon richtig viel Energie. Gleichzeitig ruht in vielen Betrieben die Arbeit und der Stromverbrauch ist gering. Wenn der Pfingstmontag supersonnig wird, treten Engpässe schneller auf als an anderen Tagen.“
Deshalb sei es so wichtig, das Gesetz noch vor dem Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Ob das noch klappt? Derzeit sei man jedenfalls im Zeitplan, auch mit der CDU sei man „in Gesprächen“, gibt sich Nestle zuversichtlich.
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Die Netzbetreiber machen aus ihrer Nervosität keinen Hehl. „Um den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien effizient und wirtschaftlich sinnvoll in das Energiesystem zu integrieren, ist es essenziell, dass die Novelle zur Vermeidung von Erzeugungsspitzen noch vor dem Ende der Legislaturperiode umgesetzt wird“, warnt der Chef des Übertragungsnetzbetreibers Tennet Germany, Tim Meyerjürgens. Der enorme Zuwachs an erneuerbaren Energien sei grundsätzlich erfreulich. „Allerdings sind die Anlagen bislang nicht steuerbar, und sie reagieren auch nicht auf Marktpreise. Das belastet das Stromnetz und verursacht unnötige Kosten.“
Ähnlich sieht es der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Einspeisespitzen bergen zunehmend erhebliche Risiken für die Netzstabilität – und das unabhängig vom künftigen Netzausbau“, sagt BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. „Sofern ein Abschluss in dieser Legislatur nicht mehr erfolgt, gehört die Schaffung angemessener Regelungen zur Steuerung von PV-Anlagen dringend auf die 100-Tage-Agenda einer neuen Bundesregierung, um das Problem der sogenannten PV-Spitzen abzumildern.“