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Armut bei Studierenden: Wenn das BAföG nicht zum Leben reicht

Armut bei Studierenden: Wenn das BAföG nicht zum Leben reicht


Stand: 19.01.2025 17:48 Uhr

Ein Drittel der Studierenden in Deutschland lebt in Armut: BAföG-Sätze sind zu niedrig, Unterkünfte zu teuer. Die psychische Belastung wächst. Eine Herausforderung für das künftige Bundesbildungsministerium.

Die Entscheidung zerstörte die Hoffnung Tausender Studierender: Am 23. September 2024 entschied das Bundesverfassungsgericht über die Klage einer ehemaligen Studentin, die höheres BAföG gefordert hatte, weil ihr BAföG-Satz unter dem Existenzminimum lag. Doch das Bundesverfassungsgericht erteilte ihr eine Absage. Es bestehe kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf die staatliche Finanzierung eines Studiums.

Für Emmi Kraft, Vorstandsmitglied des Vereins “freier zusammenschluss von student*innenschaften”, kurz fzs, fühlt sich diese Entscheidung an “wie ein Schlag ins Gesicht”. Das Urteil bedeute aus ihrer Sicht, dass Studierende kein Anrecht auf das Existenzminimum hätten. Wer sich kein Studium leisten könne, müsse arbeiten gehen oder eine Ausbildung machen. Doch den Verlust dieser künftigen Fachkräfte könne sich Deutschland nicht leisten.

BAföG-Sätze aus Sicht von Experten zu niedrig

Auch Matthias Anbuhl vom Deutschen Studierendenwerk in Berlin findet die Entscheidung problematisch. Etwa ein Drittel der Studierenden müssten mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen. Dabei koste schon ein WG-Zimmer im Schnitt 489 Euro im Monat, in München sogar 790 Euro, das zeigt eine Auswertung des Moses Mendelssohn Instituts.

Nur zwölf Prozent der Studierenden bekommen überhaupt BAföG, also staatliche Unterstützung – im Durchschnitt 475 Euro plus 380 Euro Wohnkostenpauschale, zusammen 855 Euro. Selbst diejenigen, die den BAföG-Höchstsatz von 992 Euro erhalten, liegen unter der Armutsgrenze, moniert auch Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Laut einer Expertise seines Verbandes waren 2023 insgesamt 36 Prozent aller Studierenden von Armut betroffen.

Von den Studierenden, die allein oder in Wohngemeinschaften leben, sind sogar mehr als 80 Prozent arm. Emmi Kraft vom fzs betont, dass Studierende nicht nur wie alle anderen das Recht auf ordentliche Unterkünfte und gutes Essen hätten, sondern sie hätten auch hohe Ausgaben. So brauchten sie unbedingt einen Laptop, ohne den man heute keine Hausarbeit mehr schreiben könne. Außerdem müssten Semesterbeiträge bezahlt werden und sonstige Studienmaterialien.

Forderung nach automatischer Anpassung des BAföG

Von dem oder der zukünftigen Bundesbildungsministerin fordern Kraft, Anbuhl und Rock eine drastische Erhöhung des BAföG. Außerdem müssten die BAföG-Sätze automatisch und regelmäßig an Preise und Einkommen angepasst werden – so wie bei anderen Sozialleistungen. Wichtig sei auch eine Erhöhung der Elternfreibeträge, damit in Zukunft mehr als nur zwölf Prozent der Studierenden BAföG-berechtigt sind.

Und Kraft geht noch weiter: BAföG müsse wieder ein 100-prozentiger Vollzuschuss werden, so wie bei der Einführung im Jahr 1971, damit junge Menschen nach dem Studium schuldenfrei sind. Derzeit muss die Hälfte des erhaltenen Geldes zurückgezahlt werden und das halte erwiesenermaßen Leute davon ab, ein Studium überhaupt zu beginnen, so Kraft. Gerade Menschen aus ärmeren Familien hätten Angst davor, bis zu 10.000 Euro Schulden anzuhäufen.

Matthias Anbuhl betont: “Der einzige wirkliche Rohstoff, den wir haben, ist die Qualifikation unserer Menschen. Das sind die vielen guten und hochqualifizierten Fachkräfte. Und deswegen ist es wichtig, dass man in Bildung, in Ausbildung, in Hochschulen investiert. Denn die Studierenden von heute sind die Ärztinnen, die Lehrkräfte, die IT-Experten, die Ingenieure von morgen. Und auf die können wir nicht verzichten.”

Sanierungsstau an Hochschulen führt zu maroden Gebäuden

Ohne intakte Gebäude wird gute Lehre und Forschung immer schwieriger. Doch die deutschen Hochschulen sind marode. Emmi Kraft erzählt: “Überall, wo ich hinkomme, frage ich: Und, wo regnet es bei euch rein? Alle haben eine Geschichte zu erzählen. Manche erzählen mir noch, wenn es regnet, kommt das Wasser aus den Steckdosen. Das finde ich wirklich schockierend. Und dann fühlt man sich einfach vergessen. Das ist wirklich ein Gefühl, das sich durch alle Studierendengruppen zieht, dass man sagt: Hey, lasst uns bitte einfach mal nicht allein. Wir wollen nicht vergessen werden.”

Auch Matthias Anbuhl appelliert an Bund und Länder, sich zusammen zu tun und den Sanierungsstau der Hochschulen, den der Wissenschaftsrat auf 60 Milliarden Euro schätzt, anzugehen. Immerhin müssen die Gebäude bis 2045 klimaneutral sein. Weil die zuständigen Länder das nicht allein schaffen können, müsse die neue Bundesregierung dringend mit ins Boot, so Anbuhl.

“Programm für Wohnheime muss weitergehen”

Wichtig sei auch, dass das Programm “Junges Wohnen”, das es seit 2023 gibt, fortgeführt wird, damit mehr Studentenwohnheime gebaut werden können, so Anbuhl. Für knapp drei Millionen Studierende gibt es derzeit nur etwas mehr als 240.000 Wohnheimplätze. Etwa 90 Prozent der Studierenden müssen weiter bei den Eltern wohnen oder sich auf dem freien Markt eine Unterkunft suchen.

Emmi Kraft beschreibt die Wohnungssuche innerhalb der Städte als “Schlachtfeld”: “Wenn man dann was gefunden hat, dann ist das oft auch einfach das letzte Loch. Da tropft es dann von den Wänden, da ist Schimmel, das ist winzig klein, die Fenster sind undicht, die Heizung geht nicht und so weiter und so weiter.”

Beratungsstellen fehlen

Studieren unter solchen Bedingungen führt zu psychischen Belastungen. Die Betroffenenzahlen steigen, das beobachten alle Studierendenvertreterinnen und -vertreter. Die Beratungsstellen der Studierendenwerke werden förmlich überrannt, so Matthias Anbuhl. Man könne von einer Krise in der jungen Generation sprechen. Er fordert, dass Bund und Länder gemeinsam mehr Geld in die Beratung investieren.

Emmi Kraft erwartet, dass die Politik endlich versteht, dass die Studierenden jemanden brauchen, der sich für sie einsetzt. Das Gefühl, vergessen zu werden, könne auf lange Sicht zu einer Politikverdrossenheit führen. “Ich glaube, es wird oft vergessen, dass die Studierenden von heute die Leute von morgen sind, die dieses Land vorantreiben.”



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